Julia Witt: Frau v. Braun, Sie werden am 15. April 2010 aus den Händen von Senator Wolf das Bundesverdienstkreuz für Ihr langjähriges frauenpolitisches Engagement erhalten. Was war der entscheidende Punkt, die erste Entscheidung für dieses Thema?
Carola von Braun: Ich bin Jahrgang 1942 und habe meine prägenden Jahre im behüteten bürgerlichen Bonn erlebt. In meiner Herkunftsfamilie waren Frauen gleichberechtigt, deshalb war das Gleichberechtigungsthema für mich bis in mein Erwachsenenalter nicht wirklich relevant. Erst als meine Kinder kamen und ich erkannte, dass eine interessante verantwortungsvolle Aufgabe nicht in Teilzeitarbeit zu haben war, hat das meine Augen geöffnet für die vielen subtilen und die direkten Mechanismen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in unserer Gesellschaft erschweren oder unmöglich machen. In meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete und bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion habe ich mich dann in die tief verwurzelten Rollenbild-prägungen in unserem deutschen Bildungssystem hineingekniet und verstehen gelernt, wie konservativ Deutschland in diesem Bereich ist, um Lichtjahre hinter vielen anderen europäischen Staaten zurückliegt, wenn es um wirkliche Gleichberechtigung geht. Aber dass es um eine gesellschafts-systemische Frage geht, um Herrschaftsstrukturen, das habe ich erst in Berlin lernen können, in einer Metropole mit einem dichten, hochaktiven, professionell agierenden Frauennetzwerk, mit bedeutenden Wissenschaftlerinnen, politik- und medienerfahrenen Frauen aus Politik, Verbänden, Projekten.
Julia Witt: Sie waren die erste Frauenbeauftragte Berlins, haben die weitere Entwicklung seitdem immer verfolgt: was ist der größte Fortschritt oder Erfolg für die Frauen der Hauptstadt aus Ihrer Sicht?
Carola von Braun: Aus der Sicht einer zugezogenen Westberlinerin – die Vertreterinnen der Ostberliner Frauenbewegung habe ich ja erst ab 1990 kennengelernt – war der größte Erfolg, den die Berlinerinnen für sich erkämpft haben, dass sie es geschafft haben, als ernstzunehmende durchsetzungsfähige politische Bewegung wahrgenommen zu werden. Die Phase des größten Einflusses der Frauenbewegung in Berlin waren aus meiner Sicht die zweite Hälfte der 80er Jahre, als es zu einer punktuellen Zusammenarbeit zwischen der autonomen Frauenbewegung und der alten, eher bürgerlichen, traditionellen Frauenbewegung kam. Die autonome Frauenbewegung mit ihrem fundierten herrschaftskritischen Ansatz, der von einem Teil der Medien auch unterstützt wurde, kooperierte mit der eher bildungspolitisch orientierten alten Frauenbewegung, das brachte den eigentlichen Durchbruch. Mit dieser überparteilichen Kooperation gelang etwas, das in keiner anderen Stadt so erfolgreich verlief wie in Berlin. Beispiele: wenn es um die Finanzierung von Frauenprojekten ging, von Frauenforschungseinrichtungen, von Förder-programmen für Frauen, dann gab es eine geschlossene Phalanx von weiblichen Abgeordneten aus allen Fraktionen im Parlament, Demonstrationen von Frauen vor dem Rathaus, unterstützt von einem großen weiblichen Publikum in den entscheidenden Ausschüssen. Jeder Mann, der bei solchen Anhörungen diskriminierende Äußerungen von sich gab, konnte sicher sein, dass dieses Zitat am nächsten Tag in den Berliner Zeitungen zu lesen oder in der „Abendschau“ zu sehen war. Fairerweise muss auch gesagt werden, dass es in allen Fraktionen Männer gab, die diese gleichberechtigungspolitischen Ziele unterstützten. Aber es ging eben nicht nur um Finanzierung: es ging auch um strukturelle Veränderungen; im Verwaltungshandeln, in der beruflichen Bildung, in der Wirtschafs- und Arbeitswelt, um eine vollständig andere Sicht auf gesellschaftliche Strukturen. Für die überfälligen Reformen in diesen Bereichen hat die Frauenbewegung – in enger Kooperation mit dem inzwischen eingesetzten Netz von hauptberuflichen Frauenbeauftragten im Senat, den Bezirken, den Hochschulen, Eigenbetrieben usw. - erreicht, dass sich langsam aber sicher ein Bewusstsein dafür entwickelte, wo eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen behindert wurde, wo Verbesserungen nötig waren. Diese erfolgreiche Phase der Frauenbewegung fand ihr Ende in den Jahren 1989/1990. Plötzlich hatten Reformthemen sehr zu kämpfen um öffentliche Wahrnehmung und Unterstützung, nach der Vereinigung waren andere Themen nun „wichtiger“. Die West-Frauenbewegung und die Ost-Frauenbewegung fand zunächst keine gemeinsame Sprache, wechselseitige Enttäuschungen machten sich breit. Erst heute, 20 Jahre später, bemerken wir – wie dies im Kongress der Überparteilichen Faueninitiative „Frauen – sichten – Politik: 1989 – 2009 und die Frauen“ deutlich wurde, wieviel Ost- und Westfrauen gemeinsam in den letzten 20 Jahren erreicht haben. Das Bewusstsein für das Gemeinsam Erreichte wächst aber.
Julia Witt:
Ihr Engagement in der “Überparteilichen Fraueninitiative Berlin" beruht auf der Vorstellung, dass Frauen im parlamentarischen Raum gemeinsame Interessen haben und diese auch gemeinsam besser durchsetzen können und müssen. Welche solchen erfolgreichen Aktionen gab es und müsste nicht wieder mehr geschehen, damit diese über die Fraktion reichenden Aktivitäten sichtbar werden?
Carola von Braun: Die Gründung der Überparteilichen Fraueninitiative war nicht nur eine sehr erfolgreiche Kooperation von Parlamentarierinnen aller Fraktionen, sie hat von Anfang an immer eng zusammengearbeitet mit Frauenprojekten, Frauen aus Verbänden, Institutionen usw. Insbesondere unsere heutigen Ehrenmitglieder Elke Herer, damals frauenpolitische Sprecherin der PDS und Gisela Vollradt als kenntnisreiche Vertreterin der Frauenprojekte, waren wichtige Gründungsmitglieder der ersten Stunde. Die Gründungsarbeit wurde von Anfang an sehr unterstützt von den damaligen Senatorinnen Dr. Christine Bergmann und Prof. Jutta Limbach, wofür wir heute noch dankbar sind.
2012 wird die Überparteiliche Fraueninitiative 20 Jahre alt. Das ist für eine rein ehrenamtlich arbeitende Initiative beachtlich. Ein Rückblick auf eine Auswahl unserer Aktivitäten in der jüngeren Zeigt zeigt, dass der Bedarf nach so einer überparteilichen Frauenorganisation offenbar nie nachgelassen hat.
Neben der regelmäßigen politischen Kontaktarbeit mit Parlamentarier-Innen/SenatorInnen, die zu öffentlichen Gesprächen eingeladen werden, der Erarbeitung von politischen Stellungnahmen zu frauenrelevanten Themen (z.B. zu den Auswirkungen der sog. „Hartz“-Gesetzgebung auf Frauen in Kooperation mit anderen Frauenverbänden), führen wir in Abständen größere Veranstaltungen durch zu Themen, die nach unserer Áuffassung in der öffentlichen Debatte zu kurz kommen. Ich denke an unseren Kongress „Demographischer Wandel und Gender“ in 2007, der die „weissen Flecken“ im politischen und im Verwaltungshandeln auf diesem hochbrisanten Feld einer älter werdenden Gesellschaft deutlich gemacht hat. Oder der erwähnte Kongress „Frauen-Sichten-Politik“ von November 2009, der dargestellt hat, wie viel Frauen zum Gelingen der friedlichen Revolution in der früheren DDR beigetragen haben, was heute schon wieder vergessen ist, und – noch wichtiger – wie viel Ost- und Westfrauen tatsächlich gemeinsam durchgesetzt haben in den letzten 20 Jahren.
Uns vor allem darum, das große Frauen-Netzwerk in Berlin zu festigen für die Auseinandersetzungen beim Umbau der Sozialsysteme, der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Das Bewusstsein für dieses wichtige Netzwerk wächst von Jahr zu Jahr: dazu trägt auch unser jährlicher Neujahrsempfang bei, bei dem wir inzwischen bis zu 300 Frauen aus allen Bereichen des Öffentlichen Lebens begrüßen können, die sich darüber freuen, interessante Frauen aus anderen Arbeitsfeldern kennen lernen zu können oder wieder zu sehen.
Julia Witt:
Ihr Engagement betrifft auch besonders die Situation von Frauen in Gesundheitsberufen, geprägt von schlechter Bezahlung, hohem Effizienz-Druck und der Gefahr der Verdrängung durch Frauen aus Niedriglohnländern. Wie kann dieser Gruppe aus Ihrer Sicht geholfen werden, wie kann die Thematik Frauen und prekäre Beschäftigung bearbeitet werden?
CvB: Der Arbeitsmarkt der Gesundheits- und Pflegeberufe ist der einzige, der garantiert und explosionsartig wächst. Aber die Arbeitsbedingungen in diesen Berufen machen uns Sorge. Frauen stellen fast 80 % der Arbeitskräfte in diesen hochverantwortlichen, qualifizierten Berufen, aber sie sind schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen sind so, dass viele Frauen vor ihrem 40ten Lebensjahr aussteigen. Die Fluktuation in diesen Berufen ist enorm, das ist eine Katastrophe: für die Frauen als Arbeitnehmerinnen, für die Arbeitgeber, die händeringend nach neuen Fachkräften suchen, für die Patientinnen und Patienten. Wir müssen hier zu anderen Arbeitsbedingungen kommen, zu besserer Bezahlung und sozialer Absicherung. Wir wollen in Kooperation mit anderen Frauenverbänden an einem Forderungskatalog arbeiten, der diese Probleme anspricht und Lösungen vorschlägt und diese den Parlamenten in Bund und Land vorlegen. Wir hoffen sehr, dass wir damit auch die politische Aktivierung der Frauen in den Gesundheitsberufen stärken können. '
Julia Witt: Ihre Auszeichnung ist Anerkennung für Geleistetes, sicher auch Ansporn für weitere Aktivitäten: ein Congress „Europa der Bürgerinnen“ ist in Vorbereitung. Was sind die Ziele und welche Mitstreiterinnen werden noch gebraucht ?
CvB: In Kooperation mit anderen Frauenverbänden wie dem Deutschen Frauenrat, dem Landesfrauenrat, der Europäischen Frauenlobby wollen wir wieder, wie schon 1998 in etwa 2 Jahren einen Kongress „Europa der Bürgerinnen“ durchführen, in dem die Erfolge und die Probleme in der europäischen Gleichberechtigungspolitik dargestellt werden sollen. Wir wollen Parlamentarierinnen, Regierungsmitglieder, Frauenvertreterinnen aus vielen europäischen Ländern zu einem Gedankenaustausch einladen, an dessen Ziel wieder ein Forderungskatalog an die nationalen Regierungen stehen soll. Themen werden voraussichtlich sein: die Lage der Migrantinnen in der EU, die Zukunft der Dienstleistungsberufe in der EU, der Arbeitskultur(en) in Europa. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben, für das viel organisatorische und finanzielle Unterstützung gebraucht werden wird. Wir hoffen hier auf die Unterstützung von Stiftungen, des Bundes und der EU, von Frauenorganisationen. Aber ich bin sicher: wir schaffen das gemeinsam.
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