Mittwoch, 23. Februar 2011

Almuth Hartwig-Tiedt: "Nichts geht von allein"

Dieser Text wurde geschrieben für die Aktuelle Broschüre zum Frauentag in Marzahn-Hellersdorf

„Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen nichts.“

Simone de Beauvoir

Diese Erkenntnis der großen Feministin Simone de Beauvoir ist wie ein Programm, das die Zeit nicht überholt. Durch mein Leben begleiten mich Behauptungen wie: Frau muss sich nicht auflehnen, die Verhältnisse sind doch schon gut oder sie ändern sich von ganz allein oder sie lassen sich sowieso nicht verändern. Es hat einige Erfahrungen und Zeit gekostet, diese Versuche des Einlullens zu durchschauen.

Zu DDR-Zeiten hatte der Internationale Frauentag seinen kämpferischen Charakter verloren. Wogegen sollte frau sich auflehnen? Die Herrschenden hatten doch bereits dafür gesorgt, dass Frauen einer Existenz sichernden Arbeit nachgehen konnten. Ich blieb nach der Geburt des Kindes ein Jahr zu Hause, das nur gering abgesenkte Gehalt lief weiter. Dabei hätte es viele Gründe gegeben für Forderungen: Die Belastungen von Beruf, Kindererziehung und Haushalt blieb bei den Frauen. Männer durften nur in seltenen Ausnahmen wegen der Kindererziehung zu Hause bleiben. Häusliche und sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen war ein strenges gesellschaftliches Tabu.

Um eine gerechte Bezahlung ging es bereits den ersten amerikanischen Textilarbeiterinnen, die Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal streikten. 150 Jahre später ist die Forderung nach gleicher Bezahlung für gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer in unserer Gesellschaft immer noch nicht eingelöst. Der Ruf, diese schreiende Ungerechtigkeit endlich aus der Welt zu schaffen, ist immer wieder zu hören, mächtig schallt er nicht. Ich denke es ist Zeit, ein breites Bündnis zu schmieden, sonst wird es auch nach weiteren Jahrzehnten heißen: Sie bekommen nichts!

Von Mini- und Midi-Jobs, von prekärer Beschäftigung, die die eigene Existenz nicht sichert, von Zweit- und Drittjobs sind vor allem Frauen betroffen. Alle nicken bei diesem Satz, auch Vertreter aus der Wirtschaft. Was folgt daraus? Flächendeckender Mindestlohn – das wäre eine Antwort, um diese bedrückende Realität zu verändern. Doch mit Schwarz und Gelb, mit den herrschenden Wirtschaftsverbänden wird es keinen Mindestlohn geben. Die Forderung nach dem flächendeckenden Mindestlohn ist auch eine frauenpolitische.

Gesetzliche Vorgaben sind nicht notwendig, heißt es, die Wirtschaft handelt von allein. Nichts geht hier von allein, Frauen gelangen nicht in die Führungsetagen der deutschen Wirtschaft. Eine gesetzliche Quote scheuen die männlichen Vorstände und Aufsichtsräte und ihre politischen Verbündeten wie der Teufel das Weihwasser. Frauen werden sich mit ihrer Kompetenz und Sachkunde durchsetzen, lautet ein zentrales Argument gegen die Quote. Bisher sind nur etwa drei Prozent der Vorstände in DAX-Unternehmen weiblich. Ist dann der Umkehrschluss richtig, dass Frauen bisher nicht qualifiziert genug sind? Wenn tatsächlich nur die Kompetenz entscheiden würde, hätten Frauen heute mindestens die Hälfte an Führungspositionen inne.

Wer sich die Forderungen, die Kämpfe um Emanzipation von Frauen anschaut, stößt auf das Phänomen, dass sie verlacht wurden. So schreiben Textilarbeiterinnen aus Crimmitschau 1869 in einem Aufruf: „Lassen wir uns nicht einschüchtern durch böse Vorurteile. Kein Hohn und Spott in der Gesellschaft soll uns abschrecken…“ Sie wurden ignoriert. Die großen Medien nahmen die Vorbereitungen auf den ersten FrauenStreikTag in Deutschland am 8. März 1994 kaum zur Kenntnis. Erst als er tatsächlich in über 100 Städten und Gemeinden phantasievoll stattfand, widmeten sie den Frauenforderungen Platz.

Aber Tage wie der Internationale Frauentag, Ausstellungen wie diese aus Marzahn-Hellersdorf, Auszeichnungsveranstaltungen wie zum Berliner Frauenpreis und zum Berliner Unternehmerinnenpreis, Parlamentsbeschlüsse zur Weiterentwicklung des Landesgleichstellungsgesetzes, die tägliche unermüdliche Arbeit von hunderten Frauenvertreterinnen und Gleichstellungsbeauftragten, Frauensalons, parlamentarische Frauenbündnisse, immer mehr emanzipierte Männer als Verbündete – das alles macht Mut und gibt Selbstvertrauen zu fordern und Forderungen durchzusetzen.

Almuth Hartwig-Tiedt ist Staatssekretärin für Frauen in Berlin

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