Sehr geehrte Damen und Herren aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft,
sehr geehrte Parlamentarierinnen und Parlamentarier,
sehr Frauenvertreterinnen,
sehr geehrte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte,
sehr geehrte frauenpolitische Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
herzlich willkommen zu unserer Jubiläumsveranstaltung.„20 Jahre Berliner Landesgleichstellungsgesetz“. Wir haben uns in den letzten Jahren anlässlich des sogenannten „LGG-Jahrestages“ vielseitigen Themen zugewandt: Fragen der Personalentwicklung, der Gremienbesetzungen, der Frauenförderung im Allgemeinen und im Besonderen.
Heute steht ein anderes Thema im Fokus: Das Berliner Landesgleichstellungsgesetz selbst. Es ist 20 Jahre alt geworden, es ist den Kinderschuhen entwachsen und hat sich zu einem etablierten, wenn auch nicht immer geliebten Bestandteil des Berliner Verwaltungshandelns entwickelt. Es ist mir eine große Freude, anlässlich des heutigen Festaktes zu Ihnen über „Erfolge und Perspektiven gesetzlicher Gleichstellungsregelungen“ zu sprechen. Ich werde einen Blick zurück auf die Geschichte der Entwicklung des LGG werfen, meinen und Ihren Blick darauf richten, was mit der 9. Novelle des LGG, die am 28. November letzten Jahres in Kraft getreten ist, erreicht werden kann und soll; und ich werde mit Betrachtungen darüber, wie es mit der gesetzlichen Frauenförderung im neuen Jahrzehnt überhaupt weitergehen wird oder soll, enden.
Der heutige Tag ist aber auch der Tag all denen zu danken, die sich in zum Teil jahrzehntelanger Arbeit oft unermüdlich dem schwierigen Thema Gleichstellung von Frauen und Männern gewidmet haben: den frauen- und gleichstellungspolitischen Akteurinnen und Akteuren in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und den vielen ehrenamtlich Tätigen in Verbänden, Vereinen und Initiativen.
Rückblick
Bevor ich Ihnen das neue Landesgleichstellungsgesetz näher vorstelle, lassen Sie mich kurz auf die Anfänge und die Entwicklung des LGG zurückschauen:
Heute vor 20 Jahren ist das Landesgleichstellungsgesetz (LGG) - damals hieß es noch Landesantidiskriminierungsgesetz, kurz LADG – in Kraft getreten. Hier an dieser historischen Stätte – im damaligen Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses im Rathaus Schöneberg – wurde das LADG am 29. November 1990 in dritter Lesung nach schwierigen und kontroversen parlamentarischen Debatten verabschiedet, nach Ausräumung nicht verstummender verfassungsrechtlicher Bedenken am 31. Dezember 1990 vom Parlamentspräsidenten ausgefertigt und am 12. Januar im Berliner Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht.
Dreh- und Angelpunkt der damaligen verfassungsrechtlichen Bedenken war die Einführung einer Quotenregelung, wonach Frauen im Falle einer Unterrepräsentanz bei gleichwertiger Qualifikation und unter Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit „bevorzugt“ eingestellt oder befördert werden sollten.
Das Wort „Quote“ stellt auch in den heutigen Debatten um die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern noch ein Reizwort dar, es hat an Streitpotential wenig eingebüßt. Allerdings – dies möchte ich vorwegnehmen – hat nicht zuletzt der Europäische Gerichtshof hier klare Worte gesprochen und deutlich gemacht, dass Quotenregelungen – so wie sie u.a. das Berliner LGG vorsieht - ein durchaus zulässiges und notwendiges gleichstellungsrechtliches Instrument darstellen.
Der Schaffung des LADG ging die Idee voraus, einen umfassenden Schutz vor Diskriminierungen durch staatliches oder privates Handeln zu gewährleisten. Dieser Ansatz wurde im Laufe der schwierigen politischen Debatte und des Gesetzgebungsverfahrens auf die Beseitigung der beruflichen Benachteiligungen von Frauen reduziert. Er ist erst im Jahr 2006 bei der Schaffung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wieder aufgegriffen und in bundesdeutsches Recht umgesetzt worden.
Das LADG folgte den im Jahre 1984 erlassenen „Leitlinien zur Förderung der weiblichen Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Landes Berlin“. Es wurde nicht zuletzt aus der Erkenntnis heraus „geboren“, dass der unverbindliche Charakter dieser Leitlinien die berufliche Situation der Frauen im Berliner Landesdienst nicht nachhaltig verbessert hat und dass spürbare Eingriffe in die Personalhoheit des Berliner Landesdienstes einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen.
Mit dem LADG wurde dem Staat als Arbeitgeber die Verpflichtung zur Herstellung gleichberechtigter Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern und für die Herstellung der Chancengleichheit der Geschlechter in der Beschäftigung übertragen. Zugleich sollte staatliches Handeln Vorbildcharakter für privates Handeln entwickeln.
Das Berliner Gleichstellungsrecht – der Titel LADG wurde bereits 1993 in LGG umgewandelt – ist in zwei Jahrzehnten immer wieder an neue Rahmenbedingungen und Problemstellungen angepasst worden, es ging sozusagen immer „mit der Zeit“: es ist ein bewegtes und ein bewegendes Gesetzeswerk. Zur Verdeutlichung möchte ich nur einige markante Beispiele anführen:
So wurde in einer großen Novelle im Jahr 1998 das Amt der Frauenvertreterin wesentlich gestärkt. In Reaktion auf die umfassenden personellen Einsparverpflichtungen wurde seinerzeit sichergestellt, dass der Anteil von Frauen in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind, im Falle von Personalabbaumaßnahmen nicht verringert wird.
Das Amt der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten fand nach erfolglosen Bemühungen zur Schaffung eines Spezialgesetzes im LGG eine solide gesetzliche Verankerung.
Seit 2001 ist gesetzlich vorgegeben, dass bei Privatisierungen in der öffentlichen Verwaltung das Gleichstellungsgebot nicht durch schlichte Rechtsformänderung, durch sog. Outsourcing „ausgebremst“ wird.
Neunte LGG-Novelle
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 11.11.2010 das 9. Gesetz zur Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes beschlossen. Am 28. November ist das Gesetz in Kraft getreten, nahezu zeitgleich - allerdings versetzt um 20 Jahre - mit der damaligen Verabschiedung des LADG. Mit diesem Änderungsgesetz wurde das LGG nicht neu geschrieben, nicht neu erfunden. Es handelt sich auch hierbei um eine Aktualisierung, um eine Anpassung an sich ändernde Gegebenheiten. Seine Grundstrukturen bleiben nach Vorstellung des Berliner Senats und des Abgeordnetenhauses umfänglich erhalten.
Die gleichstellungspolitischen Standards bleiben im Berliner Landesdienst trotz sich ändernder Bedingungen gewährleistet und der gleichberechtigte Zugang von Frauen zu allen Bereichen und Ebenen im Rahmen des Geltungsbereiches des Gesetzes wird weiterhin sichergestellt und verbessert. Insgesamt greift die Novelle Forderungen aus dem parlamentarischen Raum auf, reagiert auf öffentliche Kritik und berücksichtigt zudem den sich durch die langjährigen praktischen Erfahrungen mit der Umsetzung des LGG abzeichnenden Änderungsbedarf. Die im Gesetz formulierten Maßnahmen wurden auf den Prüfstand gestellt und den aktuellen Bedingungen angepasst.
Ich möchte wesentliche Punkte der Novelle kurz skizzieren:
Mit dem 9. Gesetz zur Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes sollen insbesondere
- Maßnahmen zur Beseitigung der gravierenden Unterrepräsentanz von Frauen in Vorstands- und Geschäftsleitungspositionen geschaffen,
- die Gleichstellung im Bereich der privaten Unternehmen gestärkt
und
- praktische Erfahrungen mit der Umsetzung des LGG berücksichtigt werden.
Obwohl sich die Situation für Frauen in den Einrichtungen des öffentlichen Dienstes in den letzten Jahren insgesamt erheblich verbessert hat, bleibt festzustellen, dass im Bereich der öffentlichen Hand, der Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie der Beteiligungsunternehmen des Landes Berlin nach wie vor eine gravierende Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen besteht. Die „Chef“etagen gestalten sich auch 2011 noch als weitgehend frauenfreie Zonen – BSR und BVG bilden hier rühmliche Ausnahmen.
Im Bereich der obersten Landesbehörden waren beispielsweise im Jahr 2008 nur 14,5 % der Abteilungsleitungen mit Frauen besetzt und in den Unternehmen mit Landesbeteiligung lag die Frauenquote in der obersten Führungsebene bei 10,1 %.
Die politische Diskussion der vergangenen Monate hat deutlich gezeigt, dass es weiterer erheblicher Anstrengungen bedarf, um die Unterrepräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen abzubauen. Gerade weil nur fachliche und persönliche Eignung ausschlaggebend sein sollten, ist die Unterrepräsentanz von Frauen insbesondere auf gehobenen Positionen nicht mehr hinnehmbar.
Eine öffentliche Bekanntmachung von freien Positionen, wie sie das LGG nunmehr für Vorstands- und Geschäftsleitungspositionen der Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie der juristischen Personen des privaten Rechts und der Personengesellschaften mit Mehrheitsbeteiligungen des Landes Berlin vorsieht, schafft Transparenz und damit Vertrauen, dass Frauenförderung in einem öffentlichen oder Beteiligungsunternehmen gewollt und praktiziert wird. Frauen an der Spitze von Unternehmen sorgen in der Regel für einen Kulturwandel. Wie die aktuelle Diskussion um mehr Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen von Aktiengesellschaften zeigt, erwirtschaften Unternehmen, die keine männliche „Monokultur“ in Chefetagen haben, in der Regel sogar mehr Gewinn, so dass die zu beobachtende Besitzstandswahrung der Männer eigentlich von ökonomischer Unvernunft zeugt.
Neu geregelt ist auch, dass die Quotenregelung, die - im Falle der Unterrepräsentanz von Frauen - die Vergabe einer Stelle an eine gleichwertig qualifizierte Frau vorgibt, auch für die Besetzung von Vorstands- und Geschäftsleitungspositionen der Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts gilt, natürlich unter Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit.
Ich trete als Frauen- und Wirtschaftssenator uneingeschränkt für die Erhöhung des Frauenanteils in den Aufsichtsräten und Chefetagen der deutschen Wirtschaft ein und plädiere auch hier für die Schaffung von gesetzlichen Vorgaben, die sich an dem norwegischen Modell orientieren. Norwegen hat nach einer ähnlich kontroversen Diskussion wie in Deutschland seinerzeit gesetzlich vorgegeben, dass die Organe der börsennotierten Unternehmen innerhalb einer bestimmten Frist zu 40% mit Frauen zu besetzen sind. Die Zweifel, dass es zu wenige geeignete Frauen gibt, haben sich nicht bewahrheitet. Die Quote wurde in wenigen Jahren erreicht.
Die Besetzung von Leitungspositionen ist ein Indikator dafür, wie umfassend die Gleichstellung von Frauen und Männern verwirklicht wird. Dass dies im Übrigen nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch der Vernunft ist, zeigt der Blick auf den bevorstehenden demografischen Wandel.
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt des LGG und der Novelle: Der Stärkung der Bedeutung des LGG im Bereich der Privatwirtschaft.
Zum einen geschieht dies durch strengere Vorgaben für die Geltung des LGG bei Beteiligungen des Landes. Die Novelle verpflichtet das Land bei seinen Mehrheitsbeteiligungen nunmehr dazu, die Anwendung des LGG sicherzustellen, nicht nur auf diese hinzuwirken. Dies gilt auch für die Fälle von Umwandlungen und Errichtungen von öffentlichen Einrichtungen in juristische Personen privaten Rechts oder in Personengesellschaften. Im Falle des Verkaufs derartiger Unternehmen sind auch die Erwerbenden zur entsprechenden Anwendung des LGG zu verpflichten. Diese Verpflichtung muss im Falle eines Weiterverkaufs sogar an die Erwerbenden weitergereicht werden. Die bisherige Regelung, auf die Beachtung des LGG (nur) hinzuwirken, trifft das Land jetzt im Fall einer Minderheitsbeteiligung.
Zum anderen werden die Instrumente der Auftragsvergabe und der Leistungsgewährung durch die öffentliche Hand verstärkt genutzt, um auf private Unternehmen zuzugreifen und sie zu mehr Frauenförderung zu bewegen. Der Anwendungsbereich der Frauenförderung bei der öffentlichen Auftragsvergabe wurde maßgeblich erweitert. Die Verpflichtung zur Durchführung von Frauenfördermaßnahmen bzw. von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der Öffentlichen Auftragsvergabe von bisher 50.000 wurde auf 25.000 Euro gesenkt, so dass wesentlich mehr Auftragsvergaben mit Frauenförder- bzw. Vereinbarkeitsvorgaben verbunden werden können. Der bislang ausgeklammerte Baubereich unterliegt umfassend den neuen gesetzlichen Vorgaben zur Frauenförderung durch öffentliche Auftragsvergabe. Großbauunternehmen mit hunderten von Mitarbeiterinnen können sich nun beispielsweise nicht mehr den Frauen fördernden Vorgaben bei der öffentlichen Auftragsnahme entziehen.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle das im Sommer 2010 in Kraft getretene Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz, welches für die Frauenförderung nach dem LGG einige maßgebliche Vorgaben statuiert: So werden die Sanktionen bei Verstößen um die Tatbestände der Vertragskündigung und der Vertragsstrafe erweitert. Des Weiteren werden effiziente Kontrollmechanismen vorgegeben, wie beispielsweise die verbindliche Durchführung von Stichproben und die Einrichtung einer Kontrollgruppe.
Mit der Novelle des LGG wurde zugleich auch der Boden für die noch zu verabschiedende Verordnung über Frauenförderung bei staatlicher Leistungsgewährung bereitet. In Anlehnung an die neuen Vorgaben zur Frauenförderung bei der öffentlichen Auftragsvergabe sollen zukünftig alle Subventionen von mehr als 25.000 Euro an die Verpflichtung zur Frauenförderung gebunden werden. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das schwierige Projekt des Erlasses einer solchen Verordnung noch in dieser Legislatur abschließen können.
Die gesetzliche Fixierung von langjährigen praktischen Erfahrungen mit der Umsetzung des LGG spiegelt sich beispielsweise darin, dass zukünftig alle unbefristet Teilzeitbeschäftigten im Geltungsbereich des LGG Gleichbehandlung erfahren, so bei der Berücksichtigung der Besetzung von Vollzeitarbeitsplätzen. Hier konnten bereits erste Erfolge in aktuellen Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Finanzen verbucht werden.
Familienfreundliche Rahmenbedingungen, z.B. die Vermeidung langer zeitraubender Anfahrtswege zum Dienst- und Einsatzort, die Gewährung von Telearbeit, die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten etc. sollen zukünftig ebenso beachtet werden wie die Gewährung flexibler Arbeitszeiten. Vorgesetztenverhalten muss in Zukunft noch deutlicher darauf ausgerichtet sein.
Des Weiteren stärkt die 9. Novelle die Rechte der Frauenvertreterinnen, deren Tätigkeit für den Erfolg der Gleichstellungspolitik im Land Berlin unverzichtbar ist. Frauenvertreterinnen wachen über die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben des Landesgleichstellungsgesetzes in der Praxis durch kritische Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte und ihrer Beanstandungsrechte gegenüber ihren Dienststellen bei Verstößen gegen das LGG. Diese schwierige und aufreibende Arbeit, die ein hohes Maß an Rechtskenntnissen, an Einfühlungs- aber auch Durchsetzungsvermögen verlangt, wird bedauerlicher Weise häufig immer noch nicht in ausreichendem Maße geschätzt und gewürdigt. Jede Dienststelle kann in der Regel von dem Erfahrungswissen und Engagement einer Frauenvertreterin in hohem Maße profitieren. Dieser Erkenntnis soll eine Neuregelung Rechnung tragen, wonach denjenigen Dienststellen im Land Berlin, die keine hauptamtliche oder stellvertretende Frauenvertreterin haben, die Möglichkeit einer nachträglichen Bestellung der Amtsinhaberinnen eingeräumt wird. Diese greift allerdings erst als ultima ratio, wenn alle gesetzlichen Wahlmöglichkeiten ausgeschöpft sind.
Des Weiteren wurde der Freistellungsanspruch der Frauenvertreterinnen im Gesetz detailliert festgeschrieben. Die Beteiligungs- und Beanstandungsrechte wurden erweitert und die Klagebefugnis der Frauenvertreterin auch auf die Fälle erstreckt, in denen ein Frauenförderplan entsprechend den Vorgaben des Landesgleichstellungsgesetzes in einer Dienststelle nicht vorhanden ist.
Die Rechtsstellung der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten wurde konkretisiert: Die 9. Novelle stellt fest, dass die bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten neben ihrer gesetzlich definierten hauptamtlichen Tätigkeit zu keinen sonstigen Aufgabenwahrnehmungen, beispielsweise der Übernahme von Migrations- oder Behindertenangelegenheiten, verpflichtet werden dürfen. Unsere einzelnen Bezirke weisen Großstadtgrößen auf. Eine wirksame Wahrnehmung der frauen- und gleichstellungspolitischen bezirklichen Aufgaben setzt ein adäquates Arbeitszeitvolumen auf Seiten der Amtsinhaberinnen voraus. Ein aufreibender Spagat zwischen Frauen- und Gleichstellungspolitik, zwischen Migrations- und Behindertenpolitik wird weder dem einen noch dem anderen Politikfeld gerecht.
Schließlich wird mit der in der 9. Novelle eröffneten Möglichkeit zum Erlass von Verwaltungsvorschriften durch das für Frauenpolitik zuständige Senatsmitglied die Voraussetzung für eine landesweit einheitliche Anwendung des LGG geschaffen.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich die gesetzlich geregelte Frauenförderung an den Berliner Hochschulen. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Berliner Hochschulen sind auch zugleich die Frauenvertreterinnen nach dem Landesgleichstellungsgesetz.
Sie haben vergleichbare Rechte und Pflichten, die im Berliner Hochschulgesetz festgeschrieben sind. Gemeinsam mit gleichstellungspolitischen Akteuren und Akteurinnen, konnte in der aktuell im Mitzeichnungsverfahren befindlichen Novelle des Berliner Hochschulrechts die Rechtsstellung der Hochschulfrauenbeauftragten gesichert und ausgebaut und das Gebot der Gleichstellungsförderung an den Berliner Hochschulen gesetzlich fixiert werden.
Auch dies darf als Erfolg verbucht werden.
Mit den Novellen von LGG und BerlHG haben wir bewährte rechtliche Regelungen für die Gleichstellung im gesamten Berliner Landesdienst, in den Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts, in Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Landes und in den Berliner Hochschulen geschaffen und verbessert und damit die Voraussetzungen der demokratisch legitimierten Forderung nach Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst weiter den Weg bereitet.
Berlin wird mit diesen gelungenen Gleichstellungsgesetzen bundesweiter Vorbildcharakter zuteil.
Ausblick
Der Schaffung neuer oder angepasster gleichstellungspolitischer Regelungen ging im Falle der 9. Novelle des LGG ein zäher Prozess der Kompromissfindung voraus. Politische Grundsatzdebatten über das Für und Wider Frauen fördernder Maßnahmen, über die rechtliche Zulässigkeit oder Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen wurden geführt.
Gleichstellungskritik ist nicht verstummt, sondern teils neu - unerwartet heftig - aufgelebt.
Gerade junge, hervorragend ausgebildete Frauen, die am Anfang ihres Berufsweges stehen, zeigen oft wenig Verständnis für gleichstellungspolitische Belange. Für sie gilt das Gebot der Gleichberechtigung, sie sehen keinen Anlass dies zu hinterfragen. Das Bewusstsein für Gleichstellungsfragen etabliert sich oft erst mit Eintritt in die Familienphase.
Die Beschäftigung mit Gleichstellungsfragen wird zunehmend auch als unwesentlich gar überflüssig gekennzeichnet. Begriffe wie „Geschlechtertheater“ und „Genderkram“ greifen Platz.
Lassen Sie mich aus diesem Grunde zunächst einen differenzierenden Blick auf das Gleichstellungsthema werfen:
Zweifellos sind Frauen heute in Deutschland rechtlich uneingeschränkt gleichberechtigt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gleichstellung von Frauen haben sich im letzten Jahrzehnt gewandelt und noch nie waren die Voraussetzungen für tatsächliche Gleichstellung so gut wie heute.
Dank der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs konnten sich Quoten, die Frauen den Zugang zu wichtigen Bereichen eröffnen, durchsetzen.
Auch in anderer Hinsicht sind Veränderungen zu beobachten: Im vergangenen Jahr wurden gleich drei neue Richterinnen an das Bundesverfassungsgericht berufen, darunter eine erklärte Feministin. Recht und Geschlecht war im selben Jahr Thema auf dem Deutschen Juristentag.
Bild, Spiegel und Focus - nicht nur die Emma - widmen dem Thema Gleichstellung Leitartikel.
Aber auch im 21. Jahrhundert ist die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter noch immer nicht erreicht. Dies zeigt nicht nur der Blick in Führungsetagen, sondern auch in Gehalts- oder Rentenstatistiken. Frauen sind in Führungspositionen in Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft immer noch signifikant unterrepräsentiert, sie erzielen im Durchschnitt trotz besserer Schulabschlüsse niedrigere Einkommen als Männer, sie arbeiten weitaus häufiger als Männer in sog. prekären Beschäftigungsverhältnissen, das geschlechtsspezifische Berufs- und Studienfachwahlverhalten ist noch längst nicht überwunden, die Erwerbsquote von Frauen ist - insbesondere hinsichtlich des Arbeitsvolumens - niedriger als die der Männer, denn Teilzeitarbeit ist nach wie vor weiblich. Von einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen und der Ermöglichung einer eigenständigen Existenzsicherung sind wir noch weit entfernt.
Eine Antwort auf die Frage, warum es so schwierig ist, tatsächliche Gleichstellung zu realisieren, fällt daher nicht leicht. Der Befund zeigt aber, dass unsere Gesellschaft über die Phase der gesetzlichen Vorgaben längst nicht hinaus ist und reine Selbstverpflichtungen – wie insbesondere die Diskussion um die Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft zeigt – nicht ausreichen, um gesellschaftliche Strukturen der Benachteiligung aufzubrechen.
Strategien wie Gender Mainstreaming und Gender Budgeting sind wichtig und ebnen den Weg der Erkenntnis, sie führen jedoch isoliert betrachtet nicht zur Beseitigung von Defiziten.
Frauenförderprogramme zeigen gute Wirkungen, aber auch sie alleine geben keine Garantie dafür, dass Frauen im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit beispielsweise die sog. „gläserne Decke“ durchbrechen.
Daher ist in Gesetze gegossene Frauenförderpolitik weiterhin unerlässlich: in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Politik und in der Verwaltung.
„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Dieser in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes und in Artikel 10 Absatz 3 der Berliner Verfassung niedergelegte Grundsatz richtet ein Handlungsgebot an den Staat. Dies bedeutet, der Staat ist aufgefordert alle erforderlichen Mittel zur Erfüllung dieses Verfassungsauftrages auszuschöpfen. Erforderliche Mittel können – sofern sie den intendierten Erfolg herbeiführen – schlichte Vereinbarungen sein; erforderliche Mittel müssen unter Umständen auch gesetzliche Regelungen sein um bestehende Nachteile zu beseitigen.
In diesem Lichte ist das LGG zu betrachten. Dort wo die Gleichstellung von Frauen und Männern bereits gelebte Praxis ist, kann der gesetzgeberische Auftrag mit einem Häkchen versehen werden. Da wo die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern noch nicht so weit fortgeschritten ist, soll und muss der gesetzliche Rahmen eine – unterstützende, befördernde – „Hilfestellung“ geben.
Abschließend möchte ich noch einen Punkt aufgreifen, der aus meiner Sicht die Debatte um die Gleichstellungsgesetze in diesem Jahrzehnt beleben wird. Die seinerzeit im Jahr 1990 formulierte und mit der Schaffung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 2005 bundesweit umgesetzte Forderung nach einem umfassenden Diskriminierungsschutz mündet nunmehr in die Forderung nach Schaffung einer umfassenden gesetzlich geregelten Förderpolitik. Dies hat insbesondere die Diskussion im Kontext mit der Verabschiedung des Berliner Partizipations- und Integrationsgesetzes gezeigt. Die Frauenpolitik wird sich auch dieser neuen Herausforderung stellen müssen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute viel Vergnügen beim „Gleichstellungstheater“. Machen Sie weiter mit dem ganzen „Genderkram“ – ich bin davon überzeugt, dass es sich – lohnt.
Denn der Entwicklungsstand einer Gesellschaft ist auch heute immer noch am Grad der Emanzipation der Frauen zu messen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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